Christopher Meinecke ist Leiter des Bereichs "Digitale Transformation" beim Bundesverband Informationswissenschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) in Berlin. Er sieht in vielen Bereichen im Angesicht der Ausnahmesituation erstaunliche Fortschritte im Bereich der Digitalisierung – aber er blickt auch mit Sorge in die Zukunft, wie er idowa im Interview erzählt.
Hat das also eine gewisse Vorbildfunktion?
Meinecke: Absolut. Ich glaube, dass die Institutionen, Unternehmen und durchaus auch Länder, die im digitalen Bereich noch nicht so weit waren, jetzt sehen, wie es gehen kann und wo es gut funktioniert. Von daher ist ein Schub durchaus möglich: Wenn wir jetzt die Augen bewusst aufmachen und uns anschauen, was klappt und was nicht, dann kann eine noch stärkere Digitalisierung eigentlich nur die einzige Antwort auf diese Krise sein.
Hätte sich diese Krise denn im Vorfeld besser handhaben lassen, wenn wir hierzulande bei der Digitalisierung schon weiter wären?
Meinecke: Ohne Zweifel. An den Schulen konnte man das beobachten: Da konnten jene, die digital schon gut aufgestellt waren, sofort weiter unterrichten. Andere wiederum mussten analoge Unterlagen bei der Schule abholen, die dann einscannen und so weiter – das lief dann oft nicht so optimal.
Sehen Sie in bestimmten Bereichen Fortschritte, die es ohne das Virus nicht gegeben hätte?
Meinecke: Das offensichtlichste Beispiel ist hier natürlich das Homeoffice, denn das bringt ein gewisses Momentum mit sich: Themen wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Flexibilität im Beruf und die Höchstarbeitszeit werden dadurch plötzlich aus einem ganz neuen Blickwinkel betrachtet. Und vielfach kann man auch die Zeit, die man vorher im Zug, im Bus oder im Flugzeug oft wenig produktiv verbracht hat, nun viel effizienter nutzen.
Also steigt die Effizienz im Arbeitsleben durch das digitale Arbeiten?
Meinecke: Ja, früher stundenlange Meetings zum Beispiel muss man online jetzt in 90 Minuten durchziehen, weil sonst die Aufmerksamkeitsspanne aller Beteiligten zu Ende geht. Und ich denke auch, dass es der Motivation der Mitarbeiter in vielen Bereichen gut tut, ihnen eine gewisse Eigenverantwortlichkeit zuzugestehen.
Sehen Sie auch Rückschritte, die hinsichtlich Digitalisierung in der Krise gemacht werden?
Meinecke: Rückschritte per se eigentlich nicht. Ich finde schon, dass sich da in fast allen Bereichen etwas nach vorne bewegt, was die Digitalisierung von Prozessen betrifft. Wenn dann sehe ich die Gefahr, dass Unternehmen und gerade auch staatliche Einrichtungen nach ausgestandener Krise schnell wieder in den alten Trott zurückfallen – in langjährig eingeübte, aber eben eigentlich ineffiziente Arbeitsweise. Das sollte auf keinen Fall passieren.
Was erhoffen Sie sich an konkreten Entwicklungen im Verlauf der Krise und auch danach?
Meinecke: Ich hoffe, dass sich in den Unternehmen und Verwaltungen die Erkenntnis durchsetzt, dass vieles von dem, was jetzt im Angesicht der Krise angestoßen wurde hinsichtlich Digitaler Transformation, auch langfristig vorteilhaft sein kann. In der Arbeitswelt zum Beispiel denke ich, dass viele Unternehmen aktuell die Vorteile des Homeoffice sehen, die dem Thema vorher vielleicht eher skeptisch gegenüberstanden. Und auch die Behörden, die Teile ihres Angebots jetzt digitalisiert haben, sollten das beibehalten, weil es für die Bürger vieles vereinfacht. Ich hoffe also alles in allem schon, dass die Coronavirus-Situation einen längerfristigen Schub für die Digitale Transformation in Deutschland bringt.
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